Gewürze können Geschichten erzählen Foto: Pixabay

„Wer sensorisch denkt, kocht anders“, weiß VKD-Referent Frank Müller. Wie genau das funktioniert, zeigt er im Oktober bei einem zweitägigen Seminar in Chemnitz. Erste Einblicke gibt er vorab im Interview. VKD-Mitglieder erhalten einen Rabatt auf den Seminarpreis.

Wie objektiv kann die sensorische Analyse überhaupt sein? 

Frank Müller

Frank Müller: Der persönliche Geschmack ist der Ausgangspunkt jeder sensorischen Wahrnehmung – aber nicht ihr Maßstab. In der Lebensmittelsensorik geht es darum, die eigenen sensorischen Eindrücke bewusst wahrzunehmen, zu differenzieren und zu beschreiben. Objektivität entsteht hier nicht durch Ausschalten der Subjektivität, sondern durch geschulte Wahrnehmung, präzise Sprache und standardisierte Methoden. Ein Gewürz wird nicht als „lecker“ oder „eklig“ bewertet, sondern etwa als „bitter beim Schmecken mit mentholartigen Aromen und olfaktorisch leicht pfeffriger Note“. So lernen wir, Schmecken und Riechen systematisch zu analysieren und nachvollziehbar als Geschmack zu kommunizieren – unabhängig von individuellen Vorlieben. Das ist besonders im professionellen Küchenalltag von unschätzbarem Wert. 

Wie lässt sich dieses Wissen konkret im Küchenalltag nutzen – etwa bei der Entwicklung neuer Gerichte oder Menüs? 

Sensorik ist kein Elfenbeinturm – sie ist ein praktisches Werkzeug. Wer Aromen differenzieren und kombinieren kann, komponiert bewusster, kreativer und gezielter. So kann zum Beispiel die Kombination von warmen Röstaromen mit kühlenden Gewürzen wie Sumach oder Szechuanpfeffer völlig neue sensorische Kontraste erzeugen. Auch der gezielte Einsatz von Kokumi-Substanzen wie gereiftem Knoblauch, Miso oder fermentierten Gewürzblends hilft, Tiefe und „Mundfülle“ in ein Gericht zu bringen. In der Menüentwicklung ermöglicht sensorisches Wissen, Harmonie zu steuern oder bewusst zu brechen, etwa durch temperaturgeführte Aromawahrnehmung. Kurz gesagt: Wer sensorisch denkt, kocht anders – bewusster, nachhaltiger und mit einem deutlicheren Gespür für die Gäste und deren Wünsche. 

Welche internationalen Gewürze oder Aromen feiern Ihrer Meinung nach gerade ein Comeback oder haben großes Potenzial für die moderne Küche? 

Definitiv im Aufwind sind traditionelle Gewürze mit starker kultureller Identität und fermentativer Tiefe. Dazu zählen beispielsweise Andaliman-Pfeffer aus Indonesien mit seinem betäubend-zitronigen Charakter oder Fenugreek (Bockshornklee), der in gerösteter Form eine faszinierende Verbindung zu Karamell- und Curry-Noten schafft. Auch Ajowan und Nigella erleben eine Renaissance – nicht zuletzt durch den Einfluss der Levante-Küche. Im Trend liegen zudem Rauch- und Holzaromen, etwa in Form geräucherter Paprika oder fermentierter Sojasaucen. Große Zukunft sehe ich in handwerklich hergestellten Gewürzfermenten – etwa Shio-Koji mit Kräutern, fermentierte Chili-Miso-Blends oder getrocknete Tamarindenwürzpasten mit Umami-Tiefe. Die moderne Küche sucht nach Authentizität und Sinnlichkeit – Gewürze bieten beides. Dabei unterstützt die Fusions-Küche die Verwendung von regionalen Komponenten. Großes Potenzial sehe ich auch in der Verwendung einfacher Verfahren zur Steigerung der Gesundheitswirkung in der Außerhausverpflegung, so zum Beispiel in der Nutzung von probiotischen Kulturen bei der Verarbeitung von herkömmlichen Produkten. 

Was erwartet die Teilnehmenden an den zwei Seminartagen im Oktober – und mit welchem Aha-Moment können sie sicher rechnen? 

Die Teilnehmenden erwartet ein sinnlich-wissenschaftlicher Streifzug durch die Welt der Gewürze – von der Nase bis zur Zunge. Wir riechen, schmecken, vergleichen und entwickeln systematisch ein sensorisches Vokabular. Gleichzeitig erproben wir Aromakombinationen in Theorie und Praxis – und diskutieren sie im Hinblick auf aktuelle Foodtrends, Menükomposition und den professionellen Küchenalltag. Ein Highlight: die sensorische Degustation internationaler Gewürzkompositionen in Verbindung mit Textur- und Temperaturwechseln. Der Aha-Moment? Dass Gewürze und Aromen nicht einfach nur „würzen“, sondern Gerichte strukturieren, Emotionen auslösen und Geschichten erzählen können – wenn man gelernt hat, ihnen zuzuhören.


Der diplomierte Ökonom Frank Müller ist Fachmann für die Direktvermarktung regionaler Produkte. Mit über 30 Jahren Kocherfahrung beschäftigt sich der Gewürzsommelier intensiv mit den Themen Aromen- und Lebensmittelsensorik. Aktuell entwickelt er in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Lehrerbildung der TU Chemnitz ein berufliches Weiterbildungsprogramm in der Gastronomie und Hotellerie. 


Lebensmittelsensorik am Beispiel Gewürze und Aromakombinationen | Nächster Termin: 6.-7. Oktober, Chemnitz


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