Angst vorm „Internet-Pranger“ Einige Gastronomen fürchten den "Internet-Pranger". Ist diese Angst gerechtfertigt? Es habe jeder Koch ein Stück weit selbst in der Hand, sagt Anja Tittes, Vorsitzende des BVLK. Foto: Pexels

Die verpflichtende Veröffentlichung von Hygienemängeln bereitet vielen Gastronomen Sorge. Sie haben Angst vorm „Internet-Pranger“. Doch was wird eigentlich veröffentlicht und wo? Und was bedeuten neue Verbraucherplattformen wie „Topf Secret“ für Köche und Gastronomen? Anja Tittes, Bundesvorsitzende der Lebensmittelkontrolleure Deutschlands e. V. (BVLK), klärt auf.

Das Interview führte Anna Häuser.

Veröffentlichungs-Pflicht, „Top Secret“ und der sogenannte „Internet-Pranger“ – was Transparenz für Verbraucher bedeutet, kann für Köchinnen und Köche schwerwiegende Folgen haben, wenn Hygienemängel vorliegen. Die Bewertung dessen ist jedoch problematisch. Denn: Was im einen Landkreis als „besondere Schwere“ bewertet wird, nennt der nächste geringfügig.
Anja Tittes, Bundesvorsitzende der Lebensmittelkontrolleure Deutschlands e. V. (BVLK), erklärt, was die erneuerte Version des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs (LFGB). mit Einführung einer aktiven Informationspflicht der Behörden gemäß § 40 Abs. 1a LFGB bedeutet.

Frau Tittes, beschreiben Sie kurz den Inhalt von § 40 Abs. 1a des Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuchs.
Anja Tittes: Die Möglichkeit, die Verbraucher über wirklich gravierende Verstöße gegen das Lebensmittelrecht zu informieren.
Was bedeutet das konkret?

Eine wesentliche Änderung im Verbraucherinformationsgesetz besteht in der Einführung einer aktiven Informationspflicht der Behörden. Demnach ist ein Verstoß dann bekannt zu machen, wenn zulässige Grenzwerte überschritten werden oder gegen sonstige Vorschriften des Lebensmittelrechts in mehr als unerheblichem Maße oder wiederholt verstoßen wurde und ein Bußgeld von mindestens 350 EUR zu erwarten ist. Wie könnte ein solcher Verstoß denn aussehen?
Das lässt sich nicht pauschal sagen, da es keinen bundeseinheitlichen Bußgeldkatalog gibt. Beispielhaft seien hier erwähnt: der überfüllte Mülleimer sowie offene Mülllagerung in Lebensmittelräumen, übervolle Fliegenklebefallen über dem Arbeitstisch in der Küche, starke Verschleißerscheinungen zum Beispiel im Fußboden- und Deckenbereich der Kühlzelle, eine fehlende räumliche Trennung zwischen Personaltoilette und Lebensmittelräumen, auf Grund mangelnder Reinigung verschmutzte Bierleitungen, fehlende geeignete Be- und Entlüftung des Lagerbereiches, keine funktionsfähige Handwascheinrichtung, fehlende Insektenschutzgitter an den Küchenfenstern, offensichtlich verdorbene Lebensmittel, der fehlende Nachweis zur Belehrung des Personals nach Infektionsschutzgesetz, aber auch der nicht beschriftete Behälter mit Reinigungspulver für den Spülautomaten neben der Dose mit Puderzucker.

All diese Verstöße kann Landkreis A als Geringfügigkeit ahnden, während Landkreis B die 350 Euro als Geldbuße veranschlagt. Es gilt grundsätzlich immer den Einzelfall zu würdigen.
Sogar die Parteien in Deutschland haben festgestellt, dass das problematisch ist und wollen laut des Koalitionsvertrags zwischen CDU, CSU und SPD eine bundesweite Regelung anhand eines einheitlichen Bußgeldkatalogs bewirken. Dieser sollte in jedem Fall so aufgestellt sein, dass der Einzelfall gewürdigt werden kann.

Wo wird nach einem solchen Verstoß was für wie lange veröffentlicht?
Die zuständigen Behörden sind frei in der Wahl ihrer Veröffentlichung. Das kann die behördeneigene Homepage sein, aber auch der Informationskasten am Eingang des Landratsamtes oder Rathauses.

Anja Tittes ist Bundesvorsitzende der Lebensmittelkontrolleure Deutschlands e. V. (BVLK). Foto: VKD
Anja Tittes ist Bundesvorsitzende der Lebensmittel- kontrolleure Deutschlands e. V. (BVLK). Foto: VKD

Kürzlich ist die Plattform „Topf Secret“ gestartet, auf der jeder Verbraucher den Hygienebericht eines jeden Restaurants anfragen und dann veröffentlichen kann. Was halten Sie davon?
Grundsätzlich begrüßen wir in Zeiten der Informationsgesellschaft, dass Verbraucherinnen und Verbrauchern zielgerichtet und sachlich fundierte Informationen von Behörden bereitgestellt werden, wobei es die rechtsstaatlichen Prinzipien für alle Beteiligten grundsätzlich zu wahren gilt. Desinformation durch Überinformation sollte in jedem Fall vermieden werden. Nach unserer Ansicht widerspricht die mögliche Veröffentlichung von Kontrollberichten durch Private und/oder Nichtregierungsorganisationen, die aufgrund von Anfragen gemäß Verbraucherinformationsgesetz herausgegeben worden sind, dem Grundsatz des Aktengeheimnisses und der Vertraulichkeit.

Dazu: Positionspapier des BVLK

Was ist das Risiko für Köche – zum einen bei einer Veröffentlichung grundsätzlich, zum anderen, speziell durch Plattformen wie „Topf Secret“? Was kann im schlimmsten Fall passieren?
Die Rufschädigung bleibt sicher nicht aus. Allerdings kann es auch eine positive Werbung für das Unternehmen sein, wenn die Behörde dem Antragsteller mitteilen kann, dass bei den letzten Kontrollen keine Verstöße festgestellt wurden, denn auch diese Information soll auf der Plattform veröffentlicht werden. Es hat also jeder Koch ein Stück weit selber in der Hand. Jeder Koch ist gut beraten, sich neben den geltenden Vorschriften im europäischen und nationalen Lebensmittelrecht auch an die Standards der einschlägigen branchenspezifischen Hygieneleitlinien zu halten. Darüber hinaus ist die regelmäßige Schulung der Mitarbeiter das A und O, um immer wieder die Einhaltung von Lebensmittel- und Personalhygiene präsent zu halten.

Hätten Sie eine Idee, wie man anders mit Hygieneverstößen, deren Veröffentlichung und dem Thema Transparenz umgehen kann?
Aus meiner Sicht sollte sich jeder Verbraucher in erster Linie auf die Kontrollen der amtlichen Lebensmittelüberwachung verlassen und quasi „unbeschwert genießen“. Eine Veröffentlichung sollte nur erfolgen, wenn ein Bußgeld von mehr als 350 Euro bzw. ein Strafverfahren rechtskräftig ist. Denn keine Behörde ist grundlos repressiv tätig. Bis zur Rechtskraft des Bußgeldes oder gerichtlichen Entscheidung gilt in einem Rechtsstaat die Unschuldsvermutung. Sollte es von allen Beteiligten gewollt sein, dann sollte die Veröffentlichung allenfalls bundeseinheitlich, nach vorgegebenen Kriterien in allen Betriebsarten erfolgen. Hierfür ist aber in vielen Bundesländern eine bessere personelle und finanzielle Ausstattung der Vor-Ort-Behörden notwendig.


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